Tunnelkatastrophen: Straßentunnel und ihre Sicherheitsmängel

Tunnelkatastrophen: Straßentunnel und ihre Sicherheitsmängel
Tunnelkatastrophen: Straßentunnel und ihre Sicherheitsmängel
 
1999 war für die Betreiber einiger Alpenstraßentunnel ein wahrhaft katastrophales Jahr. Am 24. März war im Montblanc-Tunnel ein LKW mit einer Ladung Mehl und Margarine in Brand geraten: Das sich in Sekundenschnelle daraus entwickelnde Inferno forderte 41 Todesopfer. Nur wenige Wochen später, am 29. Mai, fing bei einem Auffahrunfall im Tauerntunnel ein mit Lacken beladener LKW Feuer; zu beklagen war hierbei der Verlust von zwölf Menschenleben. Außer den Verlusten an Menschenleben waren hohe Sachschäden sowie langwierige Reparaturarbeiten die Folge dieser Brandkatastrophen. Auch im Jahr 2000 riss die Serie der Tunnelunglücke nicht ab: Am 11. November verloren 155 Menschen in einem Seilbahntunnel am Kitzsteinhorn bei Kaprun in Österreich ihr Leben. Durch die ausführliche Berichterstattung von den Tunnelbränden rückt die Sicherheit von Straßentunneln immer wieder in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Am 24. Oktober 2001 stieß im Gotthardstraßentunnel ein mit Reifen beladener LKW mit einem entgegenkommenden frontal zusammen, wodurch es zu einer Brandkatastrophe und Explosion mit Einsturz der Tunneldecke über eine Strecke von 200 Metern kam; obwohl es im Gotthardtunnel einen parallel zur Tunnelröhre verlaufenden Sicherheitsstollen gibt, starben hierbei mindestens 10 Menschen. Seit längerem besteht in der Schweiz eine Diskussion über den Bau einer zweiten, richtungsgetrennten Tunnelröhre.
 
 Ein Blick zurück
 
Tunnelunglücke gibt es, seit es Tunnel gibt. Was aus dieser Binsenweisheit jedoch nicht hervorgeht, ist der Zusammenhang zwischen Tunnelnutzung und -ausrüstung einerseits und Häufigkeit und Schwere der Unfälle andererseits. Nicht erst seit den Tunnelunglücken von 1999 und 2000 gibt es Studien über reale und in Experimentaltunneln inszenierte Unglücke. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse fanden jedoch bislang aus Kostengründen kaum Anwendung.
 
Statistiken zeigen, dass die Anzahl der Unglücke in Straßentunneln im Steigen begriffen ist und dass fast immer mit brennbaren Gütern beladene LKWs eine zentrale Rolle spielen. Die Gründe für das zunehmende Risiko sind in dem über die Jahre stark angewachsenen Verkehrs- und vor allem Frachtaufkommen auf den Straßen sowie in der großen Länge vieler neu in Betrieb genommener Tunnel zu sehen. Experimente zur Tunnelsicherheit gab es beispielsweise zwischen 1990 und 1992 im Rahmen des Projekts Eureka-499 »FireTun« in einem aufgelassenen Bergwerk in Norwegen, in Dänemark im neuen Bahntunnel zwischen Fünen und Seeland und in den USA im Bostoner Memorial-Tunnel. Diese Untersuchungen sowie die jüngsten Brandkatastrophen haben gezeigt, dass sich ein Tunnelbrand, abhängig von der Menge an brennbarem Material, innerhalb von wenigen Minuten zu einem flammenden Inferno mit Temperaturen über 1 300 Grad Celsius entwickeln kann, dessen Gluthitze sogar die Tunneldecke zum Einsturz bringt.
 
Idealerweise sollte ein Tunnel aus mindestens zwei durch Querverbindungen in regelmäßigen Abständen verbundenen Röhren bestehen — für jede Verkehrsrichtung eine. Die meisten, insbesondere ältere Tunnel, sind jedoch »Monotubes«, in denen sich Verkehr und Gegenverkehr eine Röhre teilen. Die Schaffung einer Parallelröhre ist vielerorts technisch möglich, jedoch enorm kostspielig.
 
Für die Sicherheit von höchster Bedeutung sind Konzept und Leistungsfähigkeit des Lüftungssystems eines Tunnels. Dass man einen Tunnelbrand durch die Belüftung fördert, muss in Kauf genommen werden, denn die Beseitigung der Rauchgase besitzt höchste Priorität. Das am wenigsten effiziente System ist die Längslüftung. Dabei wird mithilfe von über die Tunnellänge verteilten Ventilatoren ein Luftzug im Verkehrsraum erzeugt, der für Frischluft sorgt und die Abgase sowie im Brandfall den Rauch durch eines der beiden Tunnelportale hinausträgt. Bis zu dieser Tunnelöffnung können sich beträchtliche Abgaskonzentrationen aufbauen, weshalb eine Längslüftung nur bei Längen von weniger als einem Kilometer sinnvoll ist. Für längere Tunnel ist eine Quer- oder Halbquerlüftung erforderlich, die eine wirksamere Abgasverdünnung gewährleistet. Ein Tunnel mit Querlüftung enthält zwei Lüftungsröhren, die im Tunnel oder daneben verlaufen und mit Lüftungsöffnungen im Tunnel verbunden sind. Durch eine von diesen wird Frischluft von unten in den Tunnel gedrückt und durch die andere Tunnelluft an der Decke abgesaugt. Das Abzugssystem muss zur Aufnahme von heißen Brandgasen feuerfest sein. Die Halbquerlüftung entspricht der Querlüftung im Hinblick auf die Frischluftzufuhr durch den Tunnelboden über eine dafür vorgesehene Leitung, wobei die verbrauchte Luft jedoch ähnlich wie bei der Längslüftung durch die Portale entweicht. Der Vorteil der Querlüftung ist, dass bei einem Brand Rauchgase schon nach kurzer Distanz vom Brandort aus dem Tunnel entfernt werden, wohingegen bei den anderen Systemen weite Strecken des Tunnels verqualmt werden können. Eine Querlüftung ist allerdings auch teurer als die anderen Systeme.
 
In die Tunnelwände eingelassene Notbuchten und Sicherheitskammern bieten, wie die jüngsten Erfahrungen zeigten, keinen ausreichenden Schutz, selbst wenn sie über eine eigene Frischluftversorgung verfügen, da sie der intensiven Hitze bei einem Großbrand nicht lange widerstehen. Zur Sicherheit eines Tunnels tragen auch seine Beleuchtung und Signaleinrichtungen bei. Bei großen Tunneln sind ein Sensorsystem zur raschen und zuverlässigen Detektion von Bränden, eine zentrale Überwachungsstelle und ein ständig einsatzbereiter Rettungsdienst erforderlich.
 
 Verbesserungsvorschläge
 
Unfallschutzsachverständige kritisieren bei heutigen Straßentunneln vor allem die mangelnde Leistung der Absaugvorrichtungen für Rauch und das Fehlen von Rettungskorridoren. Das europäische Parlament forderte als Reaktion auf die Katastrophen von 1999 strengere EU-weite Sicherheitsstandards und eine weit gehende Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Die österreichische Regierung beschloss Anfang Juni 1999 den Bau einer zweiten Röhre durch den Tauern- und den Katschbergtunnel.
 
Die Experten sind sich einig, dass ein moderner, verkehrsgerechter Tunnel als Zwillingsröhre ausgelegt und mit einer Querlüftung ausgestattet sein muss. Zu fordern ist auch eine Verstärkung und bessere Schulung des Tunnelsicherheitspersonals.
 
 Tipps zum Verhalten bei Tunnelbränden
 
Sehr vorsichtige Menschen sollten sich vor dem Durchqueren eines Tunnels über die dortigen Sicherheitseinrichtungen informieren und vorsichtshalber Atemschutz-(Gas)masken sowie einen leicht zugänglichen, geöffneten Kanister Wasser zur Durchfeuchtung der Kleidung (als Hitzeschutz) mit sich führen. In Anbetracht des noch immer sehr geringen Unfallrisikos in Tunneln dürfte es jedoch sinnvoller sein, sich mental gegen einen Tunnelbrand zu wappnen, indem man folgende Verhaltensregeln verinnerlicht:
 
IM BRANDFALL. ..
 
— Verlassen Sie Ihr Fahrzeug sofort und entfernen Sie sich schleunigst vom Brandherd.
 
Begeben Sie sich zurück zum Tunneleingang, selbst wenn dieser in weiter Ferne liegt.
 
— Suchen Sie in Rettungsnischen nur dann Zuflucht, wenn Ihnen keine andere Wahl bleibt, denn Sie könnten dort ersticken oder verbrennen.
 
— Wenn Sie sich in einem Tunnel mit Doppelröhre befinden, flüchten Sie bei der nächsten Querverbindung in die andere Röhre.
 
— Falls genug Zeit dazu besteht, fordern Sie andere Personen dazu auf, es Ihnen gleichzutun.
 
 
Tunnel und Umwelt. Herausforderung für Technik und Volkswirtschaft, bearbeitet von Friedhelm Blennemann (Düsseldorf 1990)
 
Weltneuheiten im Tunnelbau, bearbeitet von Friedhelm Blennemann (Düsseldorf 1995)
 Hubertus Wichmann: Freisetzung von PCDD, PCDF und PAK bei Fahrzeugbränden in Verkehrstunnelanlagen (Göttingen 1995)
 
Arbeitssicherheit im Tunnelbau, bearbeitet von Herbert Fritsch (Stuttgart 1997)
 Carola Steinert: Messung und Simulation von Fahrzeugbränden in Tunneln (Clausthal-Zellerfeld 1997)

Universal-Lexikon. 2012.

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